Die Küche wird für Sam das Symbol des Bruchs, den seine Biographie erlitten hat. Diese Küche, unten im Erdgeschoss seines Heimes, die so ausladend ist, so funktional und vor allem: so neu. Diese Küche, die sein Bruder Tommy eingebaut hat, für seine Frau Grace. Diese Küche, die Sam vorfindet, als er heimkehrt, nach langem Kriegseinsatz, nach entsetzlicher Gefangenschaft. Diese Küche zeigt ihm: Das Leben hier, im Vorort-Heim seiner Familie, ist weitergegangen, ohne ihn. In eine Richtung, mit der er nicht klarkommen kann. Denn wie nahe sind sich Tommy und Grace tatsächlich gekommen, als er den Horror erlebte?
Sam war immer der Mustersohn eines Vietnamveterans, er traute auf Gott und Vaterland, und selbstverständlich verteidigt er die Heimat am Hindukusch, wenn er gerufen wird. Captain Sam Cahill ist Soldat für sein Land, von ganzem Herzen. Und ein perfekter Ehemann. Und ein perfekter Vater zweier süßer Mädchen. Im Gegensatz dazu: Bruder Tommy, das schwarze Schaf, saß im Gefängnis, ist aufbrausend, rebellisch, hält nicht viel von Familie, weder von den eigenen Eltern noch von dem perfekten Idealhaushalt von Sam.
Dann wird Sam in Afghanistan vermisst, nach dem Abschuss seines Helikopters, und er wird für tot erklärt, und die gegenläufige Entwicklung der beiden Brüder nimmt ihren Lauf. Tommy erkennt den Wert von Verantwortung, von Empathie, von Fürsorge und auch von Liebe. Und Sam, eingesperrt im Erdloch der Taliban, degeneriert, wird zum Vieh. Muss Entsetzliches erleiden, Unmenschliches dulden und wird selbst zum Unmensch. Und als solcher, als Mensch, der sich verloren hat, als Mann, der in sich gebrochen wurde, kehrt er zurück, und muss erkennen, dass alles anders ist. Er selbst, mit dem schrecklichen Geheimnis, das er in sich trägt. Seine Frau Grace, die getrauert hat, die ihn vermisst hat, und die nun dabei war, ein Leben ohne ihn aufzubauen. Die Kinder, die wissen, wer er ist, ihn aber nicht mehr kennen. Und Tommy, der sich zum Musterbruder gemausert hat, den Sam nun als Konkurrenz, als Rivale um die Liebe seiner Frau versteht.
Brødre, das Drama von Susanne Bier aus dem Jahr 2004, ist in Amerika neu aufgelegt worden, mit einigen Aktualisierungen, eingestimmt und abgestimmt auf amerikanische Verhältnisse. Jim Sheridan führte nun Regie, der Meister des subtilen Dramas, der so sorgfältig emotionale Konflikte in Bilder übersetzen kann, die niemals zu stark sind, die still und leise genau das transportieren, was wichtig ist für die Charakterisierung, für die emotionale Handlung und Spannung. Und der auch, das zeigt er hier, ganz hart sein kann, ganz grauenhaft den Krieg darstellen kann, den Krieg, der den Menschen verändert, nein: zurücksetzt auf Null.
Brothers ist ein Film über das, was nach dem Krieg kommt; damit vergleichbar mit Oren Movermans The Messenger von 2009: Ging es dabei um die, die nicht mehr heimkehren und in ihrer Familie eine Lücke hinterlassen, so zeigt Sheridan nun, wer auszieht, um zu kämpfen, und wer dann zurückkehrt; dass dies nicht dieselbe Person ist; dass die Lücke, die er hinterlassen hat, von den Hinterbliebenen gefüllt wird. Und dass das Zuhause kein Zuhause mehr ist, wenn die Seele im Krieg geblieben ist.
Fazit: Packendes, subtiles Kriegsheimkehrerdrama mit Top-Besetzung.